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Annas Garage: Frau Stadträtin, wie ist Ihre Entscheidung gefallen, Politikerin zu werden?

Judith Schwentner: Ich bin Politikerin geworden durch mein Tun. Es hat sich aus einem gesellschaftspolitischen, zivilgesellschaftlichen Engagement ergeben – nach dem Studium in meiner Tätigkeit beim Megaphon, aber auch durch die Erfahrungen während meines Studiums im Ausland, in Russland. Das Megaphon war prägend, indem es ermöglicht hat zu sehen, wie Menschen leben und was sie bräuchten, um besser zu leben. Diese Frage hat mich begleitet und mich zur Sozialpolitik geführt und dann tatsächlich ins politische Tun. Ich habe das allerdings nicht selbst gesteuert, ich wurde von den Grünen gefragt, ob ich für sie kandidieren möchte. Es war das Tun, das Handeln, das entscheidend war, Politikerin zu werden. Ich wollte eigentlich etwas anderes werden. Aber immer war in mir gesellschaftspolitisches Engagement, das begleitet mich seit meiner Schulzeit.

Annas Garage: Welche Vorstellungen haben Sie für die Stadt Graz im Thema Gleichstellung?

Judith Schwentner: Graz ist eine Menschenrechtsstadt. In einer Menschenrechtsstadt erhebe ich den Anspruch, dass alle gleichgestellt sind. Das betrifft Frauen und Männer, aber letztlich alle Menschen, die in Graz leben, unabhängig von Religion, sexueller Orientierung, etc. Es ist unser Ziel, dies mit Projekten und Kampagnen voranzutreiben. Wie wir wissen, haben wir Gleichstellung noch lange nicht erreicht, und das erleben Menschen, die weniger privilegiert sind als wir tagtäglich. Das ist mein Beitrag auf kommunalpolitischer Ebene.

Es beginnt beim Haus Graz – wo die Bediensteten der Stadt Graz beschäftigt sind: Verdient man gleichwertig, hat man als Frau die gleichen Chancen? Es geht bis hin zur Frage, mit wieviel Budget – oder besser mit wie wenig Budget – die Frauenstadträtin, die für 50% der Bevölkerung sprechen sollte, ausgestattet ist. Es geht um Ressourcen, es geht um Chancengleichheit.

Annas Garage: Gerade im Bereich Technik ist in Bezug auf Chancengleichheit offensichtlich noch viel zu tun. Hier wird man den Eindruck nicht los, dass es sehr stark um die Sicherung der Macht durch die diskursbeherrschenden Männer geht …

Judith Schwentner: Es beginnt sehr früh: wie wir erziehen, welche Role-Models wir haben, wie wir in ein Bildungssystem einsteigen. Welche Bedingungen schaffen wir, damit alle möglichst gleich in das Berufsleben einsteigen können? Da gibt es verschiedene Schrauben, an denen wir drehen können. Wir können – ganz konkret – Projekte fördern, die die Startbedingungen ändern. Das machen wir zum Beispiel punktuell am Girls‘ Day und indem wir entsprechende Projekte vor den Vorhang holen wie durch den Grazer Frauenpreis. Wir fördern Projekte, die genau da ansetzen, die Mädchen Einblicke in Berufe geben und Alternativen zu den traditionellen Berufswahlentscheidungen anbieten. Mädchen müssen auch in der Schule unterstützt werden, in ihrer Art zu lernen. Mädchen lernen offenbar anders als Burschen, weil sie anders sozialisiert sind. Es müsste natürlich auch das Bildungspersonal unterstützt werden.

Mit Macht hat das insofern zu tun, als die technischen Berufe besser bezahlt sind und die besser bezahlten sind die männlich dominierten Berufe. Ich habe aber schon den Eindruck, dass Frauen immer weniger – vielleicht auch, weil sie Digital Natives sind – Berührungsängste haben vor technischen Geräten als vielleicht Generationen von Frauen davor.

Annas Garage: Wenn wir mit Unternehmen und Vertreter*innen aus der Industrie über die Frage sprechen, wie wir beispielsweise die Klimaprobleme in den Griff bekommen wollen, ist die Antwort eine ganz klare: Die Technik wird es lösen, die Technik muss es lösen. Die Technik ist folglich das Mittel, um die Gesellschaft zu gestalten…

Judith Schwentner: Ich glaube, dass man viel umfassender denken muss. Die Technik kann ein Mittel zum Zweck sein, aber wir müssen die Gesellschaft umgestalten. Wir sind da in einem Transformationsprozess, der alle Lebensbereiche betrifft. Klimawandel ist letztlich auch eine soziale Frage.

Darüber hinaus: Wie wir leben wollen ist eine grundsätzliche Haltungsfrage und Gleichstellung ist auf jeden Fall Teil davon. Ich sehe das bei Fridays for Future, die auch den Lebensstil sehr in den Fokus nehmen. Da geht es nicht nur darum, wie wir mit innovativer Technologie die vom Klimawandel verursachten Probleme wieder hinkriegen, sondern auch darum, dass Gleichstellung gelebt wird. Technik wird daher auch gleichstellungsorientiert gedacht. Frauen, die ja andere Lebenserfahrungen mitbringen, gestalten das Verständnis von Technik mit.

Annas Garage: Haben Sie den Eindruck, dass Gleichstellung bei Jugendlichen selbstverständlicher ist? Jugendliche zeigen sich zum Teil genervt von der Diskussion um Gleichstellung und postulieren, dass Gleichstellung für sie kein Thema sei. Oft drängt sich der Eindruck auf, dass es sich bei diesem Zugang um Genderblindheit handelt …

Judith Schwentner: Ich denke schon, dass sich da etwas ändert, wenn auch langsam. Es gibt immer mehr Männer, die gerne Väter sind, die das auch erleben wollen. Die Erziehung insgesamt hat sich vom Kindergarten an verändert. Da gibt es schon Bewegung. Deshalb ist es auch das gute Recht von jungen Menschen, genderblind zu sein. Ich hoffe nur, dass sie nicht tatsächlich an die gläserne Decke stoßen. Und ich befürchte, das passiert noch zu oft, spätestens dann, wenn es um die Frage der Familiengründung geht und um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Hier sehe ich die politische Verantwortung, genau dafür zu sorgen, dass beides möglich ist, für Männer wie für Frauen. Ich sehe das als unsere Verantwortung als Politiker*innen, präventiv dafür zu sorgen, dass sie nie an der gläsernen Decke anstoßen, weil sie sich gleichberechtigt fühlen. Das Gefühl möchte ich ihnen nicht nehmen, sie sollen sich gleichgestellt fühlen. Ich kenne so viele selbstbewusste Mädchen und Frauen, mit einem Selbstvertrauen ausgestattet, das wir früher gar nicht hatten und ich hoffe, dass ihnen das nicht genommen wird. Dafür haben wir zu sorgen.

 

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Stadträtin Judith Schwentner

  • Judith Schwentner: podesser.net
  • Beitragsbild: Parks, Zinzendorfgasse