Interview mit Bürgermeister Christian Sander
Annas Garage: Was zeichnet Kindberg aus?
Christian Sander: Kindberg hat eine hervorragende Infrastruktur, wohnen, arbeiten, leben sind in Kindberg möglich. Wir sind nach Linz mit dem Mur- Mürztal und der Region die zweitgrößte Industrieregion Österreichs. Wohnungen sind leistbar und das mitten in der Natur. Industrie ist aber anders zu denken als früher: Nicht mehr die rauchenden Schornsteine, sondern High-Tech. Wir haben in Kindberg zwei Betriebe, die mit Carbontechnologie arbeiten, unter anderem in der Flugzeugausstattung. Auch eines der wenigen Sauergaslabore der Voestalpine befindet sich in Kindberg.
Wenn ich wohnen kann, arbeiten kann, die Kinder betreut sind und ich eine gute Anbindung habe – und das haben wir, wir sind in 80 Minuten in Wien und in 45 Minuten in Graz – lebe ich hier an einem ausgezeichneten Standort. Das wird sich in Zukunft verstärken. Für die Regionalentwicklung ist die Verbindung mit dem Zug nach Wien ein wichtiger Aspekt, die nach der Fertigstellung des Semmeringbasistunnels um eine Dreiviertelstunde schneller ist. Dann kann es sinnvoll sein, von Kindberg nach Wien zu pendeln. Zusätzlich haben wir eine gute Autobahnanbindung.
Annas Garage: Möchten Sie den Zuzug nach Kindberg verstärken?
Christian Sander: Auf jeden Fall. Kindberger sind abgewandert, zum Beispiel als der Nachtzug um 10 Uhr keinen Halt in Kindberg mehr hatte und die Stadtflucht so richtig im Gange war. Jetzt nach dem Internetausbau und dem Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder, von der Kinderkrippe bis zur Matura und das im ländlichen Raum, mit bester Infrastruktur wie zum Beispiel dem Citybus und vielen Einkaufsmöglichkeiten steigt der Zuzug wieder. Qualitatives Wohnen wollen wir weiter ausbauen, vielleicht sogar hochwertigstes Wohnen nach dem Vorbild Aflenz. In Kindberg haben wir auch eine gute Belebung in den ebenerdigen Geschäftsflächen im Zentrum. Hier haben sich junge Selbstständige angesiedelt. In den letzten Jahren konnten wir auch dort wieder Zuzüge verzeichnen.
Annas Garage: Sie haben die Industrieregion angesprochen. Da taucht vom Image her gleich ein recht traditioneller Technikbegriff auf …
Christian Sander: … der nicht mehr stimmt …
Annas Garage: … wie schätzen Sie die Zukunft des Technikverständnisses ein?
Christian Sander: Die rauchenden Schornsteine gibt es schon ewig nicht mehr, außer in den Köpfen. Besonders nicht bei den Menschen, die hier leben; sie wissen, dass dieses Bild nicht mehr stimmt. Auch auf der Seite der Unternehmen: Moderne, neue Unternehmen in Kindberg vermitteln ein anderes Bild von Technik. Diese Unternehmen haben auch Erfolg, etwa bei der Suche nach Arbeitskräften. Sie haben die Architektur verändert – die Arbeitsplätze schauen ins Grüne. Eine amerikanische Studie aus dem Gesundheitsbereich zeigt, dass Menschen schneller gesund werden, wenn sie ins Grüne schauen. Diese Technikunternehmen bieten in der Kantine gesundes Essen an, sie haben eine neue Führungskultur, die Innovation ermöglicht, die auf Offenheit setzt. Junge Mitarbeiter*innen können Dinge ausprobieren, werden auf das Werkstück losgelassen, dabei wird ihre Entwicklung mitverfolgt. Diese Herangehensweise neu und zeigt Wirkung.
Nehmen wir das Beispiel Blechverarbeitungsfirma: Wir haben in Kindberg eine Produktionsstraße gebaut, in der der Innenrollbügel für Autogurte der meisten deutschen Fahrzeuge hergestellt wurde. Wir haben gelernt, wie wichtig es ist zu sehen, wie etwas gebaut wird, wie das Produkt entsteht. Es ist auch wichtig, dass die Menschen und vor allem die Jugendlichen wissen, da gibt es gute Arbeitsplätze und die Möglichkeit, Geld zu verdienen. In manchen Unternehmen in der Region finden wir die notwendigen Arbeitskräfte nicht mehr, weil die Aufgaben so komplex geworden sind. In der Industrie sind auch Arbeitskräfte mit Matura gefragt, die auch bereit sind, in der Arbeit zu lernen. Man muss den Jugendlichen auch sagen, dass die Jobs schon viel abverlangen, dass es aber nicht um Kohleschaufeln am Hochofen geht.
Annas Garage: Kindberg ist für junge Menschen – auch in Bezug auf die zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze – durchaus attraktiv. Setzen Sie weitere Maßnahmen, damit Kindberg für Jugendliche attraktiv bleibt?
Christian Sander: Meist ist es doch so: Wenn junge Menschen nach Graz oder Wien gehen um zu studieren, schlägt dort die Liebe zu. Die erste Wohnung, der neue Freundeskreis – auch der des Partners – da verfestigt sich einiges, man lebt doch mehrere Jahre dort und die Großstadt ist sicher auch verlockend. Da kann man nur dafür sorgen, dass die öffentlichen Verbindungen so gut sind, dass es attraktiv wird auch während des Studiums regelmäßig nach Hause zu kommen. Und es ist ganz wichtig, dass gute Leute nach dem Studium wieder zurückkommen.
Natürlich hat sich die Mobilität erhöht: In den 70er Jahren sind 30% der Mitarbeiter*innen eingependelt – 70% der Beschäftigten kamen aus der Region. Jetzt ist es umgekehrt. D.h. 70% pendeln ein. Die meisten Diplomingenieur*innen, die hier arbeiten sind keine Kindberger*innen.
Annas Garage: Wie passt Annas Garage in Ihre Aktivitäten?
Christian Sander: Mich motiviert das Neue und die Tatsache, dass wir junge Menschen ansprechen. In Kindberg haben wir die Orte, um Annas Garage umzusetzen, ob es ein Container ist oder das Cowerk, in dem wir jetzt sind. Wir haben Schulen, wir haben die Infrastruktur, wir haben Unternehmen, die ihr Know-how gerne teilen, wenn sie sehen, dass etwas zurückkommt. Bei den Jugendlichen müssen wir Neugier wecken. Gerade in der Arbeit mit Jugendlichen ist die Offenheit sehr wichtig und das sehe ich bei Annas Garage. Die Einbindung der Jugendlichen ist ein zentrales Element für den Erfolg von Annas Garage.
- Christian Sander: Denise Ganster
- Kindberger-Innenstadt: Stadtgemeinde Kindberg